Kulturerbe digital --- Methoden der Informatik zur Erschliessung der kulturellen Überlieferung

Günther Görz und Josef Schneeberger, Erlangen-Nürnberg

04.09.2008 / 06.06.2014

Dokumentation der kulturellen Überlieferung ist heute ohne Computer kaum mehr vorstellbar --- wie aber steht es mit Möglichkeiten einer weitergehenden Erschliessung? Zur Bearbeitung (kunst-) historischer, philologischer und dokumentarischer Fragestellungen gibt es zwar etliche Software-Werkzeuge, doch bietet die gegenwärtige Praxis ein sehr heterogenes Bild: Vieles passt einfach nicht zusammen.

Signifikanter wissenschaftlicher Mehrwert ist nur zu erwarten, wenn einheitliche, standardisierte Darstellungsformate für Texte und Bilder benutzt werden; erst dann eröffnet sich die Möglichkeit, unterschiedliche, schnittstellen-kompatible Software-Komponenten einzusetzen und die Daten im Internet mit anderen Ressourcen zu vernetzen. Für Text- und Bildkorpora hat die internationale "Text Encoding Initiative" ein erweiterbares Format zur Darstellung und Auszeichnung von Objektdaten (Texte und Bilder) und ihren Beschreibungen entwickelt. Es basiert auf der "eXtended Markup Language" XML, für die ihrerseits u.a. Editoren, Formatumsetzer, Präsentationswerkzeuge und spezielle Datenbanken verfügbar sind. Weiterhin können Verfahren der maschinellen Textanalyse eingesetzt werden, die semantische Wortnetze (Thesauri) benutzen oder auf formale Repräsentationen bestimmter Wissensgebiete (Ontologien) Bezug nehmen. Hinzu kommt die Bearbeitung und Visualisierung digitaler Bilder.

Als repräsentatives Beispiel bearbeiten wir eine Inkunabel (Frühdruck vor 1500) kosmographischen Inhalts von einem unbekannten Autor, den sog. "Deutschen Ptolemaeus". Das Werk fasst das Wissen von der Erde an der Schwelle zur Neuzeit in eigenständiger Weise, jedoch angelehnt an die ptolemaeische Geographie, zusammen. Heute sind von diesem Druck weltweit nur noch zwei Exemplare vorhanden, eines in der Bayerischen Staatsbibliothek in München und eines in der New York Public Library. Wie von Josef Fischer (s.u.) nachgewiesen wurde, gehört zu diesem Werk eine Weltkarte in der Form eines (östlichen) Planiglobus, die nur einmal erhalten ist und sich heute bei dem New Yorker Exemplar befindet. In seiner Form ist der Druck, der deutliche Qualitätsmängel aufweist --- abgenutzte Drucktypen, Druckfehler, etc. --- noch deutlich der Handschriftenkultur verpflichtet und unterscheidet sich u.a. durch zahlreiche Abkürzungen und das Fehlen eines Titelblatts deutlich von den "moderneren" Drucken des 16. Jahrhunderts. Eine gute Übersicht über die Besonderheiten gibt die Einleitung von J. Fischer zu seiner Faksimileausgabe.


Ptolemaeus am Schönen Brunnen in Nürnberg

Der Beispieltext: Materialien

Fischer, J.: Der "Deutsche Ptolemäus" aus dem Ende des XV. Jahrhunderts (um 1490) in Faksimiledruck herausgegeben mit einer Einleitung, Bd. XIII von Drucke und Holzschnitte des XV. und XVI. Jahrhunderts in getreuer Nachbildung, Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1910.

Die Erlanger und Berliner Web-Edition des "Deutschen Ptolemaeus"

Auf verschiedenen Vorarbeiten aufbauend wurde wurde an der FAU Erlangen-Nürnberg in mehreren Übungen zur Vorlesung Digitale Dokumente, Editionen und Bibliotheken eine kritische digitale Edition erarbeitet. Aufgrund von Copyright-Problemen steht sie nur lokal zur Verfügung.

Die XML/TEI-Datei der Edition wurde ausserdem am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, mit den Werkzeugen des ECHO-Projekts aufbereitet und kann durch die Einbindung weiterer Ressourcen wie z.B. des Lexikonmoduls POLLUX einen wissenschaftlichen Mehrwert bieten.
Hier ist die aktuelle ECHO-Version des Deutschen Ptolemaeus.

Der Vollständigkeit halber seien hier auch die mit dem TEI-ROMA-Werkzeug erzeugte XML-Schema-Datei dt-ptolemaeus-tei.xsd sowie die einige Voreinstellungen enthaltende Schema-Datei xml.xsd angegeben.

Dateien zur Textanalyse

Im Folgenden wurde die XML/TEI-Datei aus ECHO zugrunde gelegt.
Aus ihr wurde der der frühneuhochdeutsche Text ohne das lateinische Widmungsgedicht extrahiert: [txt].
Zur einfacheren Referenzierung gibt es eine Version mit Zeilennummern: [txt].

Tutorial bei der 2011 Annual Conference of the TEI Consortium, Univ. Würzburg
- Preparing a Critical Edition of an Incunabula with TEI

Die Greifswalder Web-Edition des "Deutschen Ptolemaeus"

Die erste Version einer digitalen Web-Edition des Deutschen Ptolemaeus wurde von einer Stipendiatengruppe während der Sommerakademie der Studienstiftung des Deutschen Volkes 2008 in Greifswald erarbeitet. Das praktische Ergebnis der zweiwöchigen Arbeit: Der Deutsche Ptolemaeus im Web (erste Version)
mit

Vortragsprogramm bei der Sommerakademie in Greifswald 2008

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Guenther Goerz
Last modified: Mon Aug 08 12:46:18 CEST 2016