Neue Horizonte der Kosmographie
Die kosmographischen Bücherlisten Hartmann Schedels (um 1498) und Konrad Peutingers (1523) (1)

Klaus A. Vogel

In: Bott, G.; Willers, J. (Hrsgb.): Focus Behaim-Globus. Referate des internationalen Kolloquiums im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg - 5.4.-6.4.1990, Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Nürnberg, April 1991.

Wie hat sich im Verlauf der großen geographischen Entdeckungen von Christoph Columbus, Vasco da Gama, Amerigo Vespucci und Fernando Magelhães, also in den Jahrzehnten nach 1490, das Bild verändert, das sich die Menschen in Europa von der Erde machten? Beschränken wir uns auf die Frage nach den Veränderungen des geographischen Weltbildes der Gelehrten in Mitteleuropa, so müssen wir die Veränderungen der Kosmographie untersuchen - der zeitgenössischen Lehre von der Gestalt der Erde.

Was bedeutete für die Zeitgenossen Kosmographie? Der Begriff "cosmographia" wurde im 15. und 16. Jahrhundert in dreierlei Weise verwendet. Zum einen konnte er eine Abbildung der gesamten Erde oder zumindest aller von ihr bekannten Teile bezeichnen, meinte also eine Weltkarte. Zum anderen meinte er alle Darstellungen der Erde, sowohl Karten als auch Texte, die sich auf die Erde als Ganzes bezogen und dabei das astronomische Ordnungsschema des Kosmos, das Gradnetz aus Meridianen, Breitenparallelen, den Wendekreisen der Sonne und den Polarkreisen, auf die Erde projizierten. In dieser Bedeutung war Kosmographie als systematisierende Beschreibung unterschieden von Geographie, der darstellenden Beschreibung der Erde, und von Chorographie, der Beschreibung begrenzter Regionen und Orte. Zum dritten konnte Kosmographie alles dieses zusammen umfassen und entsprach dann in etwa dem, was wir umgangssprachlich unter Geographie verstehen - beide Begriffe wurden auch im 15. und 16. Jahrhundert als Synonyme gebraucht (2).

Zu dieser Kosmographie im weitesten Sinne gehörten also Karten, Globen und Texte. Über Karten und Globen, über die kartographische und die handwerkliche Seite der Kosmographie wissen wir vergleichsweise viel. Von den Weltkarten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, den Karten von Fra Mauro, Nikolaus Germanus und Henricus Martellus, scheint ja ein recht gerader Weg zu den Globen und Weltkarten von Martin Behaim, Martin Waldseemüller und Johannes Schöner zu führen. Obwohl es viele offene Fragen gibt, sind uns die großen Entwicklungslinien im wesentlichen bekannt und zeigen eine schnelle, ja dramatische Expansion der geographischen Horizonte in den Jahrzehnten zwischen etwa 1490 und 1520.

Doch selbst wenn wir von diesen Karten und Globen nur diejenigen heranziehen, die wie die Ptolemaeuskarte des Nicolaus Germanus von 1482, die Karte Martin Waldseemüllers von 1507 und die Globen Johannes Schöners von 1515 den gelehrten Zeitgenossen weithin bekannt wurden, so wissen wir noch nicht, wie sie von diesen betrachtet wurden und in welchen Zusammenhang wir sie einordnen müssen, um sie in ihrer Wirkung richtig zu verstehen. Die Veränderung des Weltbildes hatte zweifellos eine bedeutende visuelle Komponente - die Erde, wenn auch im Modell, im Ganzen sehen zu können und beispielsweise die Erdumsegelung des Magelhães, die durch den im Januar 1523 in Köln zuerst gedruckten Brief des Maximilianus Transylvanus den Zeitgenossen bekannt gemacht wurde, auf einem Globus von Schöner nachvollziehen zu können, dies wird schon für sich erhebliches Gewicht gehabt haben. Aus dem hohen repräsentativen Wert, den die oft außerordentlich prächtigen Weltkarten und Globen besaßen, aus ihrer Verwendung in zeitgenössischen Tafelbildern und aus einigen direkten Zeugnissen der Zeit können wir die Bedeutung erschließen, welche die Zeitgenossen diesen Abbildern der Erde zumaßen. Doch wenn wir die Veränderung des Weltbildes im weiteren Zusammenhang zeitgenössischer Interessen und Gelehrsamkeit nachvollziehen wollen, so müssen wir die Kosmographie insgesamt in den Blick nehmen und die Texte kennen, in denen die Gelehrten die neuen Kenntnisse beschrieben und mit dem bis dahin bekannten Wissen in Zusammenhang brachten.

Die Kosmographie an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert bietet uns ein Abbild des Spektrums, der Schwerpunkte und Horizonte der geographischen Interessen der gelehrten Zeitgenossen, wie wir es in seiner Vielfalt, Systematik und Differenzierung aus den von einem einzelnen Gelehrten hinterlassenen Zeugnissen nicht rekonstruieren können. Anders als heute reichte eine solche, noch kaum von den Nachbardisziplinen abgegrenzte und institutionell nicht entwickelte frühe Wissenschaft noch nicht über das hinaus, was ein einzelner erfassen und wissen konnte. Da sie allein einen Gelehrten nicht ausfüllte, befaßte sich an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert keiner der an Kosmographie interessierten Büchergelehrten ausschließlich mit dieser Disziplin, sie wurde noch immer in engem Zusammenhang mit der Astronomie sowie den humanistischen Nachbarwissenschaften studiert.

Doch ist nicht klar, welche Werke die Zeitgenossen selbst als der Kosmographie zugehörig ansahen, welche Werke also den Kanon ausmachten, der das geographische Weltbild der Gelehrten bestimmte und zu beschreiben erlaubt. Hat es einen solchen Kanon überhaupt gegeben? Die Vorlesungsprogramme der Universitäten an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert lassen uns hier fast vollständig im Stich. Kosmographie an den Hochschulen wurde im Rahmen der Astronomie und meist anhand des "Tractatus de sphaera" des Johannes von Sacrobosco unterrichtet. Es war eine große Neuerung, daß im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts an einigen Hochschulen im Reich erstmals auch über die "Cosmographia" des Ptolemaeus gelesen wurde. Im Jahre 1497 kam Konrad Celtis nach Wien, dessen Universität zu Lebzeiten Maximilians I. in den mathematischen Fächern führend war, und führte dort kosmographische Vorlesungen ein. Er las dort im seinem ersten Semester über das Werk "De mundo" des Lucius Apuleius, das er im gleichen Jahr bei Winterburger in Wien im Druck herausgab (3). Später wurden in Wien von Johannes Cuspinianus, Johannes Camers und Joachim Vadian auch die spätantiken Kosmographien des Dionysius Periegetes, Solinus und Pomponius Mela gelesen und kommentiert - aber selbst wenn wir einige weitere derartige Angaben sammeln, so ist es doch nicht möglich, allein daraus das ganze Spektrum der verbreiteten kosmographischen Texte und seine Entwicklung und Erweiterung seit dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts zu rekonstruieren.

So hat man sich meist mit der Bibliographie beholfen und nach Neuerscheinungen gefragt, die nach heutiger Auffassung zur Geographie gezählt werden. Oft bleibt uns keine andere Wahl, als auf diese Weise heutige Disziplingrenzen in die Vergangenheit zurückzuprojizieren - doch laufen wir Gefahr, damit wichtige Aspekte zu übersehen und andere zu verzerren. Viele Fragen müssen dann offen bleiben. Wurden beispielsweise Reiseberichte von den Gelehrten als kosmographische Literatur angesehen, oder hatten sie einen ganz anderen Kreis von Adressaten und Lesern? Gehörte um 1500 der "Tractatus de sphaera" des Johannes von Sacrobosco, der ja grundlegende kosmographische Passagen enthält, insgesamt zur Kosmographie hinzu? Und können wir aus der Tatsache, daß ein Buch gedruckt wurde, schon schließen, daß die Zeitgenossen es zur Kenntnis nahmen - reichte es nicht oft, einen zahlungskräftigen Gönner zu haben, der einem Buch auch dann zum Druck verhelfen konnte, wenn es keinen so recht interessierte?

Wie oft, so gibt es auch für die Frage nach dem Kanon der wichtigen Werke eines Gebietes nur eine Lösung: wenn irgend möglich, müssen wir diejenigen Zeitgenossen befragen, die selbst etwas von diesen Dingen verstanden haben. Wir sind in der glücklichen Lage, das nach fast fünfhundert Jahren noch tun zu können, denn zwei der besonders vielseitig interessierten Gelehrten der Zeit haben uns ihre Bücher hinterlassen. Hartmann Schedel und Konrad Peutinger, so verschieden sie ihrer praktischen Tätigkeit nach waren - Schedel war Arzt in Nürnberg, Peutinger Stadtschreiber, Jurist und Politiker in Augsburg -, hatten beide ausgeprägte und vielseitige gelehrte und humanistische Interessen, beide haben reiche Bibliotheken gesammelt, und beide interessierten sich für Kosmographie.

Doch wir haben nicht nur ihre Bibliotheken - die kleinere Sammlung Schedels (623 Bände) wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts in vorbildlicher Weise von Richard Stauber rekonstruiert (4), die Rekonstruktion der großen Sammlung Peutingers (ungefähr 2150 Bände), deren Bände zu einem großen Teil noch in den Bibliotheken Augsburgs und Münchens vorhanden sind, steht noch aus und könnte demnächst in Angriff genommen werden (5). Wir haben auch, und das ist von Bedeutung für die hier gestellte Frage nach dem zeitgenössischen Kanon kosmographischer Werke, die eigenhändigen handschriftlichen Bücherverzeichnisse, die Schedel und Peutinger von ihren Bibliotheken angefertigt haben (6). In den Verzeichnissen sowohl von Schedel als auch von Peutinger finden wir, und das ist außerordentlich bemerkenswert, jeweils eine gesonderte Auflistung ihrer kosmographischen Werke - bei Schedel im Rahmen der Ordnung der Bibliothek nach Sachgebieten, bei Peutinger auf einer in seinen Verzeichnissen enthaltenen, eigens von ihm angefertigten separaten Liste. Beide Funde passen zu anderen Beobachtungen, die wir an dieser Stelle nicht ausbreiten wollen, und sie ergeben insgesamt ein klares Bild: an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert war Kosmographie, bei aller engen Verbindung zur Astronomie und trotz der Tatsache, daß sie auf den Universitäten in der Regel nicht als eigenständiges Fach gelehrt wurde, ein eigenständiges Interessen- und Forschungsfeld, und es ist möglich, einen Kanon von Texten zusammenzufassen, der die Horizonte dieser frühhen Wissenschaft beschreibt.

Hartmann Schedel, Verfasser der erstmals 1493 gedruckten Weltchronik und bis zu seinem Tode im Jahre 1514 einer der führenden Gelehrten seiner Vaterstadt (7), sammelte seit Beginn der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts geographische und historische Texte (8). Wie Notizen von seiner Hand beweisen, war er eher Sammler als Forscher, doch Kosmographie interessierte ihn besonders, und er las die einschlägigen Texte durchaus kritisch (9). So ist schon für sich betrachtet die in dem von ihm selbst bald nach 1498 verfaßten ersten Bücherkatalog enthaltene Liste seiner kosmographischen Bücher von Bedeutung für die Frage nach den zeitgenössischen geographischen Interessen und dem Stand der Kosmographie dieser Zeit. Die Liste ist erstaunlich kurz (10):

Cosmographi et Geographi

1 Strabo Geographus de situ Asie Affrice et Europe
2 Cosmographia Ptolemei cum figuris et fabulis XXIIII
3 Cosmographia Ptolemei Alexandrini cum figuris novis XXXII
4 Asia Pii pape in quo continentur Rerum ubique gestarum in Asia cum descriptione subtili locorum
5 Europa Enee in quo Gesta in Europa sub Friderico tercio cum locorum ac personarum descriptione per Europam continentur
6 Pomponius Mella liber parvus scriptus
7 Descriptio terre sancte ac locorum in Ierusalem per Ioannem Tucher civem Nurembergensem et alia
8 Beda de Situ Hierusalem et locis sanctis et alia in pergamento
9 Cosmographia Pomponii Melle: Dionisius de situ orbis
10 Liber peregrinacionis ad terram sanctam Hierusalem describens terram promissionis et iter ad divam Katherinam prope montes Sinai cum figuris: per Io(annem) Breitenbach cum figuris (!)
(dazu nach dem Berliner Kodex:)
11 Registrum cum additionibus in cosmographiam Ptolemaei per novas tabulas

Dies ist das älteste bisher bekanntgewordene Verzeichnis kosmographischer Werke eines deutschen Gelehrten. In seiner Überschrift unterscheidet Schedel Kosmographen und Geographen, im Sinne der zu Beginn erwähnten Definition, die den Begriff Kosmographie den systematisch orientierten Werken vorbehält und mit Geographie die darstellende Beschreibung der Erde meint. Doch ist Schedel im Gebrauch dieser Begriffe ebenso wie seine Zeitgenossen nicht sehr konsequent, wir sollten die Überschrift nicht überbewerten.

In der dann anschließenden Liste von elf Titeln können wir drei Gruppen von Texten unterscheiden: die geographischen Klassiker der Spätantike, mit der seit ihrer Wiederentdeckung im beginnenden 15. Jahrhundert systematisch und kartographisch grundlegenden Kosmographie des Claudius Ptolemaeus (Nr. 2, 3 u. 11), den stärker deskriptiven Kompendien von Pomponius Mela (Nr. 6, 9) und Strabo (Nr. 1) und dem damals häufig gedruckten kosmographischen Lehrgedicht des Dionysius Periegetes "De situ orbis" (Nr. 9); die "Asia" und "Europa" des Eneas Silvius Piccolomini, sie bildeten zusammen die bis weit ins 16. Jahrhundert hinein vielgelesene, aus antiken Texten und eigenen Beobachtungen schöpfende moderne Darstellung der alten Welt (Nr. 4, 5); und drei Beschreibungen des heiligen Landes, darunter eine Beda Venerabilis zugeschriebene Pergamenthandschrift (Nr. 8) und zwei kurz zuvor erschienene deutsche Reiseberichte aus Palästina von Johannes Tucher und Bernhard von Breitenbach (Nr. 7, 10).

Die Kürze der Schedelschen Liste könnte uns veranlassen, sie für unvollständig und daher nicht sehr bedeutsam zu halten. Doch der Vergleich mit der folgenden Liste Peutingers wird zeigen, daß Schedel tatsächlich von fast allen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts gedruckten und in gelehrten Kreisen verbreiteten einschlägigen Werken eine Ausgabe besessen hat. Daß Peutinger, wie wir sehen werden, so erheblich viel mehr kosmographische Werke besaß, ist offenbar hier nicht darin begründet, daß er überhaupt mehr sammelte - es ist vor allem eine Folge der Tatsache, daß das Spektrum der Kosmographie sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts ganz außerordentlich erweiterte. Die Liste Schedels ist nicht das Ergebnis einer von persönlichen Vorlieben geprägten Auswahl, sondern erweist sich als eine zwar nicht erschöpfende, aber doch umfassende Zusammenstellung der wichtigsten kosmographischen Titel seiner Zeit.

Es könnte auch überraschen, daß die portugiesischen Entdeckungen entlang der afrikanischen Westküste in dieser Liste keinen Niederschlag finden. Schedel wußte von ihnen durch seine Beteiligung an der Herstellung des Behaim-Globus, vor allem aber durch den ausführlichen Bericht seines Freundes und Kollegen Hieronymus Münzer von dessen Reise nach Spanien und Portugal in den Jahren 1494/95. Schedel hatte den Bericht Münzers und den dazugehörigen separaten Bericht von der Entdeckung Guineas eigenhändig abgeschrieben durch ihn sind uns beide überliefert (11). Doch waren dies neue Nachrichten, die in Handschriften zirkulierten und noch nicht in weiter verbreiteten Druckschriften veröffentlicht worden waren. Schedel selbst hatte seine Abschrift der von Münzer mitgebrachten Berichte erst kurz vor Fertigstellung seines Bücherverzeichnisses beendet, die in der Bayerischen Staatsbibliothek München unter Clm 431 vorhandene Handschrift enthält zudem noch weitere Texte von seiner Hand aus der Zeit nach 1500. So läßt es sich erklären, daß er diese Handschrift kurz nach 1498, als er sein Bücherverzeichnis abschloß, noch nicht bei seinen kosmographischen Büchern eingeordnet hatte.

Auch der 1493 mehrfach, auch einmal in Basel gedruckte Columbus-Brief, der von der Entdeckung neuer Inseln in Indien berichtete (12), findet sich nicht in Schedels Bibliothek. Wie wir wissen, stieß er bei den sich für Kosmographie interessierenden Zeitgenossen auf wenig Resonanz. Der wichtigste, meist übersehene Grund hierfür liegt wohl in der Tatsache, daß der gedruckte kurze Brieftext des Columbus kosmographisch völlig wertlos war. Er enthält keinerlei Angabe über die Lage dieser Inseln - nicht einmal der nach dem Verlassen der Straße von Gibraltar gesteuerte Kurs ist angegeben, so daß unklar bleiben mußte, in welcher Gegend des Ozeans die angeblich gefundenen Inseln liegen sollten. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert gehörte der Columbusbrief noch nicht zum Kanon der gelehrten Kosmographie, den uns das Verzeichnis Hartmann Schedels abbildet. Es sind Ptolemaeus und die spätantiken Klassiker, die Werke des Eneas Silvius und die Reiseberichte aus Palästina, die zusammen den Horizont und die Interessenschwerpunkte der gelehrten Kosmographie am Ausgang des 15. Jahrhunderts beschreiben.

Daß Konrad Peutinger sich in besonderem Maße für die Entdeckungen interessierte, ist bekannt (13). Aus seinem Nachlaß stammt eine Sammlung von Entdeckungsberichten, in deutscher Übersetzung und mit der Hand geschrieben, aus den Jahren 1497-1505, Berichte von den Reisen von Vasco da Gama, Vespucci, Albuquerque, Almeida und anderen. Die Sammlung wurde 1861 von Greiff als Anhang zum Tagebuch des Lukas Rem veröffentlicht (14) und ist ein Zeugnis für das Interesse, das man in Augsburger Kaufmannnskreisen den Entdeckungen entgegenbrachte. Weniger bekannt ist ein zweites Zeugnis, das ebenfalls von Peutinger stammt und zeigt, daß auch die Humanisten seiner Umgebung an den Entdeckungen interessiert waren. In den von Peutinger herausgegebenen "Sermones convivales de mirandis Germaniae antiquitatibus" von 1505, einer Sammlung locker gefaßter Gesprächsprotokolle von Diskussionen im Kreis der Augsburger Humanisten, die dem Titel nach von der deutschen Geschichte handelten, findet sich ein bemerkenswertes, kurzes Kapitel mit der Überschrift "De Lusitanis nautis qui in Indiam navigant" (15). Es faßte mehrere Diskussionen über die portugiesischen Seereisen zusammen, wobei besonders die Frage, ob auch zur Zeit der Alten schon Verbindungen über See nach Indien bestanden, die Humanisten beschäftigte. Die Diskussion war offenbar angeregt worden durch die geplante, im Jahr 1505/6 sfattfindende erste Reise von Kaufleuten aus Augsburg und Nürnberg auf portugiesischen Schiffen um das Kap der guten Hoffnung herum nach Indien. An der Vorbereitung dieser Reise war Peutinger maßgeblich beteiligt, mit dieser Reise waren Fahrten nach Übersee erstmals auch für Kontinentaleuropäer praktisch möglich geworden (16).

Wie nun veränderten die mit der Entdeckung des Seeweges nach Indien und mit dem allmählichen Fortschreiten der Entdeckungen nach Süden und Westen eröffneten Horizonte den Kanon der Texte der gelehrten Kosmographie? Die Antwort auf diese Frage gibt uns das von Peutinger angefertigte Verzeichnis seiner kosmographischen Bücher, enthalten in dem im Jahre 1523 abgeschlossenen ersten eigenhändigen Bücherkatalog Peutingers (17):

In Cosmographia libri alias scripti ad Historias

1 Lilius de Situ orbis (gestrichen)
2 Cosmographia Claudii Ptolaemei (!)
3 Dionysius de Situ orbis (gestrichen)
4 Priscianus de Situ orbis
5 Plinius in Geographia
6 Camertis Index in eundem
7 Strabo de Situ orbis
8 Pompon(ius) Mela
9 Herm(olaus) Barbarus in Pomp(onium) Melam
10 Pii Pont(ificis) Maxim(i) Asia Europa et Bohemia
11 Vesputii Introductio in Cosmographiam
12 Res Indiae a Portugallensibus
13 Itinerarium Indianum Ludvici Patacii(!) Romani
14 Itinerarium Portugallensium in Indiam
15 Solinus de Mirabilibus mundi
16 Res Indiae in vulgari
17 De provinciis Germaniae
18 Dionysius de Situ orb(is) prosa per Ant(onium) Bechariam traductus
19 idem Carmine a Prisciano ut Fannio Rhennio tralatus cum Commentariis Joan(nis) Camertis
20 Index in eundem
21 Pomponii Melae libris tres
22 Herm(olaus) Barb(arus) Castigat(iones) in eundem
23 Index in Pomponium Melam
24 Albertus Magnus de Naturis locorum
25 Compendium Ioan(nis) Coclei in geograph(iam)
26 Orbis Breviarium Zachariae Lilii
27 Martini Hilacomilis in Chartam Itinerariam introductorium
28 Jacob F(aber) Stapulensis paraphrasis in Meteorologiam Aristotelis
29 Coclei Comment(arius) in eundem
30 Itinerarium Ant(onini) Pii scriptum
31 Idem in Gallia Impressum
32 Dionysius de Situ orbis graece
33 Idem Carmine latinus
34 Germania Eneae et alia ut in indice
35 Descriptio Terre Joan(nes) Schöner
36 rerum gestarum (gestrichen) Duae Sarmatiae
37 Iulius Solinus
38 Solinus cum Commento Camertis
39 Provinc(iae) Germ(aniae) Ladislai
40 Mela cum Commento Camertis (gestrichen) Vadiani
41 Stephanus de urbibus
42 Cosmographia

Diese Liste der kosmographischen Werke Peutingers ist ein von ihm selbst hergestellter Auszug aus den von ihm zuvor unter "Historiae" verzeichneten Titeln. Neben einer gesonderten Aufstellung der von ihm gesammelten Werke des Erasmus von Rotterdam ist es das einzige separate Verzeichnis seiner Bibliothek, das er angefertigt hat (18) - schon daran zeigt sich das besondere Interesse Peutingers für Kosmographie. Mit 42 Titeln enthält dieses Verzeichnis fast viermal so viel Werke wie die Schedelsche Liste; fast alle der noch nicht in der Schedelschen Sammlung enthaltenen Titel sind seit Beginn des Jahrhunderts neu erschienen. Betrachten wir deshalb beide Listen zusammen, so zeigen sie auch quantitativ die Zunahme an kosmographischen Texten und erlauben uns, die aktuelle Entwicklung der Kosmographie in den beiden ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts nachzuzeichnen.

Peutinger gibt seiner Liste die Überschrift "Bücher über Kosmographie oder Schriften ad Historias" und verweist damit bereits in der Titelzeile auf die Funktion und den Nutzen dieser Schriften - ad Historias, womit dem damaligen Sprachgebrauch entsprechend nicht Historie im heufigen Sinne, sondern Berichte und Texte über vergangene wie gegenwärtige Ereignisse gemeint waren. Uns erscheint diese Überschrift ungewöhnlich. Bei einem ja vielfältig praktisch orientierten Menschen wie Peutinger hätten wir eine Funktionsbeschreibung, die nur vom Nutzen der Kosmographie für das Verständnis von Berichten und Texten spricht, nicht erwartet. Umso aufschlußreicher ist diese Formulierung, denn sie gibt uns exakt die zentrale Funktion der gelehrten Kosmographie dieser Zeit an: Kosmographie diente dem Verständnis von klassischen Texten und der Bibel, und sie half, die zunehmend eintreffenden Berichte aus anderen Regionen, Ländern und Erdteilen zu verstehen (19). Es ist die Perspektive des Büchergelehrten, die Peutinger als gelehrter Humanist hier selbstverständlich einnahm. Kosmographie diente für Peutinger weder der nautischen Vorbereitung auf ferne Seereisen noch der Vermessung des eigenen Landes, sie hatte für ihn auch nicht den Zweck der Herstellung von Karten und Globen. Für ihn und die meisten Gelehrten seiner Zeit war Kosmographie vor allem eine Hilfswissenschaft, der Astronomie nahestehend und in dienender Funktion gegenüber den humanistischen Fächern und der Theologie. Diese Funktion müssen wir im Blick behalten, wenn wir die innere Ordnung der von Peutinger gesammelten Titel verstehen wollen.

Mit ihren 42 Titeln enthält die Liste Peutingers die wichtigsten, bis Anfang der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts in Deutschland verbreiteten Drucke zur Kosmographie. Ganz überwiegend, und das ist grundlegend für das Verständnis des Bildungs- und Interessenhorizontes der gelehrten Zeitgenossen, sind es antike kosmographische Texte sowie Kommentare dazu. 15 antike und spätantike Texte, dazu drei gedruckte separate Indices und 7 Kommentare - da würden wir eine große Vielfalt erwarten, denn diese Texte machen zusammen mehr als die Hälfte der hier insgesamt verzeichneten kosmographischen Texte aus. Doch sind es erstaunlich wenig verschiedene Klassiker, die Peutinger verzeichnet. An erster Stelle seiner Liste steht, nach der von ihm gestrichenen Schrift "De situ orbis" des Zacharias Lilius, eine Ausgabe der Kosmographie des Ptolemaeus (Nr. 2). Es folgen, nach der Reihenfolge der Häufigkeit, sechs Ausgaben des Textes von Dionysius Periegetes "De situ orbis" - in verschiedenen Fassungen, darunter die Übersetzung Priscians sowie einmal das griechische Original (Nr. 3, 4, 18, 19, 32, 33), zwei Ausgaben von Pomponius Mela (Nr. 8, 21), zwei von Solinus (Nr. 15, 37), eine Ausgabe von Plinius (Nr. 5) und eine von Strabo (Nr. 7); dazu noch das handschriftlich und in einem Pariser Druck vorhandene "Itinerarium" des Antoninus (Nr. 30, 31) und das Handbuch des Stephanus "De urbibus" (Nr. 41). Es folgen drei gedruckte Indices, wiederum zu Plinius (Nr. 6), zu Dionysius (Nr. 20) und zu Pomponius Mela (Nr. 23). Es kann kein Zweifel bestehen, und dies wird durch die Liste Schedels sowie durch andere bibliographische Recherchen bestätigt: Ptolemaeus, Strabo, Plinius, Pomponius Mela, Solinus und Dionysius Periegetes waren die geographischen Klassiker im ausgehenden 15. und in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts.

Von den sieben Kommentaren stammen neben zwei philologisch orientierten Pomponius-Mela-Kommentaren des Hermolaus Barbarus aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Nr. 9, 22) fünf von bedeutenden Zeitgenossen Peutingers: eine Paraphrase der "Meteorologia" des Aristoteles von Jacob Faber Stapulensis, dem Pariser Theologen, Naturphilosophen und Aristoteles-Spezialisten (Nr. 28); ein ergänzender Kommentar dazu von Johannes Cochlaeus, von 1510 bis 1515 Rektor der Lateinschule an der Nürnberger Lorenzkirche und später einer der publizistisch aktivsten Gegner Luthers (Nr. 29); ein kurzer Kommentar zur Kosmographie des Dionysius Periegetes von Johannes Camers, des aus Italien stammenden, in Wien lehrenden Theologen und Naturgelehrten (Nr. 19); von demselben ein umfangreicher und gelehrter Solinus-Kommentar, erschienen in Wien 1520 (Nr. 38); sowie ein 1518 ebenfalls dort erstmals erschienener, ebenso umfangreicher und außerordentlich gelehrter Pomponius Mela-Kommentar von Joachim Vadian, "poeta laureatus", Mediziner und Naturgelehrter in Wien und nach seiner Übersiedlung in seine Vaterstadt St. Gallen einer der führenden Schweizer Reformatoren (Nr. 40). Alle vier Autoren würden wir heute Humanisten nennen, ihre Kommentare sind zu Unrecht kaum bekannt. Vor allem die zuletzt genannten beiden großen Kommentare von Vadian und Camers zu Pomponius Mela und Solinus weisen erheblich über die Klassiker hinaus und konfrontieren sie, in recht unterschiedlicher Weise, mit neueren Fragen und Erkenntnissen der Geographie - auch, aber nicht nur mit den Entdeckungen, denn quantitativ steht bei beiden die Beschreibung Europas, vor allem von Mittel- und Nordeuropa, weit im Vordergrund. Insgesamt bilden diese Kommentare aus den beiden ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts das Herzstück der gelehrten Kosmographie dieser Zeit in Mitteleuropa. Sie geben uns ein Beispiel für "humanistische Naturwissenschaft" - eine nicht nur philologisch interessierte, sondern sachbezogene Aneignung antiken Wissens von der Natur die auch kritische Auseinandersetzung und Überwindung dieses Wissens mit einschließt (20).

Vom Studium dieser Texte müssen weitere Forschungen ausgehen, die danach fragen, in welcher Weise die kosmographischen Klassiker benutzt wurden und wie an sie angeknüpft wurde. Die Kosmographie des frühen 16. Jahrhunderts war jedoch nicht rückwärtsgewandt oder gar antiquarisch, sie ging von der Aneignung und Weiterführung antiken Wissens aus, aber sie erschöpfte sich nicht darin. Das zeigen die weiteren von Peutinger verzeichneten Texte: ein einziger Text aus dem 13. Jahrhundert, "De natura locorum" von Albertus Magnus, herausgegeben in Wien von Georg Tannstetter, genannt Collimitius (Nr. 24); vier Texte aus dem 15. Jahrhundert, darunter die Beschreibung Asiens, Europas und Böhmens sowie noch einmal separat die Beschreibung Germaniens des Eneas Silvius (Nr. 10, 34) und zwei möglicherweise identische Kompendien von Zacharius Lilius (Nr. l, 26); eine Beschreibung der oberdeutschen Fürstentümer und Provinzen von Ladislaus von Suntheim (Nr. 39, eventuell idenfisch mit Nr. 17); der "Tractatus duae Sarmatiae", der erste gedruckte moderne Bericht über die Völker Osteuropas und Rußlands von Matthias von Miechow (Nr. 36); drei Berichte von den portugiesischen Entdeckungen in Ostindien aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts (Nr. 12, 14, 15) sowie der Reisebericht des Lodovico de Varthema, der von 1502 bis 1507 eine außergewöhnliche Reise in den Fernen Osten unternahm - er reiste über Arabien, wo er als Moslem verkleidet auch nach Medina und Mekka pilgerte, nach Nordostafrika, Indien, Ceylon und bis nach Malaysia und kehrte auf dem kurz zuvor entdeckten Seeweg über Mozambique und das Kap der guten Hoffnung nach Europa zurück (Nr. 13); und endlich fünf Titel, die heute oft als repräsentativ für die gesamte kosmographische Literatur dieser Zeit angesehen werden: die Kosmographie von Waldseemüller und Ringmann mit den Vespucciberichten von 1507, bei Peutinger verzeichnet unter dem Titel "Vesputii Introductio in Cosmographiam" (Nr. 11); die wahrscheinlich von Matthias Ringmann verfaßte Begleitschrift zur Europakarte Martin Waldseemüllers von 1511 (Nr. 27); das kosmographische Kompendium des Johannes Cochlaeus von 1512, angebunden an die von ihm herausgegebene Schulausgabe des Pomponius Mela (Nr. 25); und zwei kosmographische Schriften Schöners, darunter seine "Luculentissima terrae introductio" von 1515, die seinen ältesten bekannten Globus begleitete (Nr. 35, 42).

In diesen zuletzt genannten und neuartigen kosmographischen Handbüchern wie in den Entdeckungsberichten zeigt sich die grundsätzliche Aufgeschlossenheit Peutingers und der Kosmographen seiner Zeit für die rasante Erweiterung der äußeren Horizonte der den Europäern bekannten Erde. Dabei standen für Peutinger und seine Zeitgenossen die portugiesischen Entdeckungen noch im Vordergrund. Anders als die Entdeckungen im Westen stellte die Umsegelung Afrikas den direkten Anschluß an ein hochentwickeltes Handelsnetz her, mit dem über Venedig und den arabischen Zwischenhandel bereits zuvor Verbindung bestanden hatte. Die portugiesische Entdeckung des Seeweges nach Indien war deshalb von unmittelbarer Bedeutung für die Handelsinteressen der oberdeutschen Kaufleute, die sich seit Anfang des Jahrhunderts stark in Portugal und später in Spanien engagierten. Das Interesse für die portugiesischen Entdeckungsreisen nach Osten, das sich in der Peutingerschen Sammlung spiegelt, hatte so einen realen Hintergrund.

Doch wir greifen zu kurz, wenn wir nur die äußere Horizonterweiterung der Kosmographie in den beiden Jahrzehnten betonen, die zwischen Schedels und Peutingers Bücherlisten liegen. Schon die Werke des Eneas Silvius, die auch Schedel besaß, zeigten das große Interesse der Zeitgenossen an der Geographie Europas und der Alten Welt. Mit den Werken Ladislaus von Suntheims und Matthias von Miechows, ebenso aber mit großen Teilen der neuen Kompendien von Waldseemüller und Ringmann, Cochlaeus und Schöner wurde auch die Beschreibung der alten Welt Stück für Stück auf eine neue Grundlage gestellt. Noch wurden ihnen die Kosmographen der Spätantike als klassische Vorbilder zur Seite gestellt. Ohne die Klassiker ist, wie wir festgestellt haben, die Kosmographie des 16. Jahrhunderts nicht zu verstehen. Aber in den gelehrten Kommentaren zu den Klassikern, die in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts entstanden, zeigt sich eine wachsende Unabhängigkeit von den antiken Vorbildern. Auch im Blick auf die Tradition der alten Welt hat sich in diesen Jahren der Horizont deutlich erweitert, auch diese Horizonterweiterung bildet sich, blickt man genauer hin, deutlich in der kosmographischen Büchersammlung Peutingers ab.

Die Texte zur Kosmographie, die Peutinger in seiner Bibliothek versammelt hat, geben ein recht genaues und umfassendes Bild von der Vielfalt kosmographischer Literatur zu Beginn der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts. Sie spiegeln zugleich die Entwicklungsgeschichte der Kosmographie, in der eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen zusammenwirken:

(1.) Die geographisch-naturphilosophische, an Aristoteles orientierte spätmittelalterliche Tradition ist nicht abgebrochen, sondern wird weitergeführt, wie der Text des Albertus Magnus und die Paraphrasen und Kommentare zur "Meteorologie" des Aristoteles von Faber Stapulensis und Cochlaeus belegen. Sie wurde seit Beginn des 15. Jahrhunderts ergänzt und grundlegend erneuert

(2.) durch die erstmalige lateinische Übersetzung der Geographien von Ptolemaeus und Strabo und

(3.) durch den unmittelbaren Rückgriff der Humanisten auf vier weitere, vorwiegend deskriptive spätantike Werke, deren Gegenstände im Mittelalter oft nur indirekt über die Kompilationen Isidors und anderer bekannt gewesen waren: die "Historia naturalis" des älteren Plinius und die geographischen Kompendien von Pomponius Mela, Solinus und Dionysius Periegetes.

Die Entdeckungsberichte (4.) erweitern seit Beginn des 16. Jahrhunderts grundlegend den äußeren Horizont und schaffen

(5.) mit die Voraussetzungen für einen neuen Typ mathematisch-geographischer Kompendien, die vor allem an Ptolemaeus anknüpfen, über ihn hinausgehen und eine ganze Reihe bis dahin offener Streitfragen klären, die die Gestalt der Erde insgesamt betreffen.

Zweifellos sind diese kurzen Kompendien von Waldseemüller und Ringmann, von Schöner, später von Peter Apian, Glarean und anderen von Bedeutung. Wir können aber die darin oft nur kurz angedeuteten Themen erst dann angemessen interpretieren, wenn wir sie in den größeren Zusammenhang der zeitgenössischen kosmographischen Literatur einordnen und insbesondere die noch immer dominierende Stellung von Klassikertexten und -kommentaren beachten. Damit haben wir, anhand eines Überblicks über die Texte, einen groben Überblick gewonnen auch über Spektrum und Entwicklungslinien der Kosmographie im 15. und in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. Beim Vergleich der beiden Listen von Schedel und Peutinger wurde deutlich, daß sich in den beiden ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts die gelehrte Kosmographie außerordentlich stark entwickelt hat. Die Dynamik, die sich hier zeigt, wird in ihren äußeren Horizonten von den Entdeckungen bestimmt, aber sie hat doch nicht nur mit diesen zu tun, denn sie geht mit der inneren Erweiterung und zunehmend kritischen Aufarbeitung der klassischen Geographie der alten Welt einher. So erkennen wir insgesamt eine sehr vielfältige Horizonterweiterung, deren Grenzlinien, Schichten und Verwerfungen sich an der Vielfalt der zeitgenössischen Texte im einzelnen aufsuchen lassen.

Anmerkungen

(1) Die erweiterte und überarbeitete Fassung meines Beitrages zum Kolloquium "Focus Behaimglobus", vorgetragen im April 1990 in Nürnberg, skizziert anhand zweier hier erstmals untersuchter Quellen einen Aspekt meiner gegenwärtigen Arbeit an einer Dissertation über die geographischen Entdeckungen und den Wandel des Weltbildes der Gelehrten im deutschen Sprachbereich, 1480- 1550. Auf umfassende bibliographische Nachweise wird deshalb an dieser Stelle verzichtet. Allgemein grundlegend zur Geographie im deutschen Sprachbereich noch immer Lucien Gallois: Les géographes allemands de la Renaissance. Paris 1890; ein neuerer Gesamtüberblick zur Geographie im 15. und 16. Jahrhundert Numa Broc: La géographie de la Renaissance, 1420-1620. 2. Aufl. Paris 1986; einige Einzeldarstellungen zu deutschen Geographen in Manfred Büttner (Hrsg.): Wandlungen im geographischen Denken von Aristoteles bis Kant (Abhandlungen und Quellen zur Geschichte der Geographie und Kosmologie, Bd. 1). Paderborn 1979; viele Stichwortartikel zur Geschichte der Geographie der Renaissance in Ingrid Kretschmer, Johannes Dörflinger und Franz Wawrik (Hrsg.): Lexikon zur Geschichte der Kartographie (Die Kartographie und ihre Randgebiete, Bd. 1 -2), 2 Bde. Wien 1986. Vgl. meinen Beitrag: L'écho des découvertes dans la littérature géographique allemande de la première moitié du XVIe siècle. In: "La Découverte, le Portugal et l'Europe", Actes du Colloque Paris 1988, publiés sous la direction de Jean Aubin. Paris 1990, S. 295-308.

(2) Zur Unterscheidung Kosmographie-Geographie-Chorographie vgl. Petrus Apianus: Cosmographicus Liber. (Landshut) 1524, fol A1: "Quid sit Cosmographia et quo differat a Geographia et Corographia". Apian erläutert dort den Unterschied zwischen den drei Begriffen und veranschaulicht ihn durch drei Abbildungen: unter "Kosmographie" bildet er einen Erdglobus mit Gestell und Gradnetz ab, wobei die Kontinente nur schematisch angedeutet und mit ihren Namen beschriftet sind; unter "Geographie" zeichnet er eine freischwebende Erdkugel ohne Gradnetz und Kontinentgrenzen, aber mit Küstenlinien, Gebirgen und Flüssen; unter "Corographia" zeigt er die Ansicht einer Stadt mit umgebender Landschaft. (Unvollständiges Exemplar: Göttingen SUB, 8 Geogr. math.80 Rara; die Beschreibung der Abb. deshalb nach der von Gemma Frisius herausgegebenen Ausgabe, Antwerpen: Io. Grapheus 1533, Exemplar: Göttingen SUB, 8 Geogr.math.81 Rara, fol. A2v).

(3) Gustav Bauch: Die Reception des Humanismus in Wien. Eine litterarische Studie zur deutschen Universitätsgeschichte. Breslau 1903, bes. S. 118-120.

(4) Richard Stauber: Die Schedelsche Bibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte der Ausbreitung der italienischen Renaissance, des deutschen Humanismus und der medizinischen Literatur (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte, Bd. 6, Heft 2 u. 3). Freiburg i.Br. 1908.

(5) Die Rekonstruktion der Bibliothek Peutingers ist seit langem ein Desiderat der Humanismusforschung. Nach Vorarbeiten an der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg wurde hierzu inzwischen ein detailliertes Arbeitskonzept entwickelt, das nach Sicherstellung der Finanzierung demnächst verwirklicht werden soll.

(6) Zu den Schedelschen Verzeichnissen s. R. Stauber (Anm. 4), S. 102f., Edition S. 103-145. Zu den Verzeichnissen Peutingers s. Erich König: Peutingerstudien (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte, Bd 9, Heft 1 u. 2) Freiburg i.Br. 1914, S. 149-151 . Die Edition einer Konkordanz der handschriftlichen Bücherverzeichnisse Peutingers ist im Rahmen der Rekonstruktion seiner Bibliothek geplant.

(7) Zu Schedel s. vor allem R. Stauber (Anm. 4), S. 40- 101 . Neuere Literatur bei Elisabeth Rücker: Hartmann Schedels Weltchronik. München 1988 (erweiterte Neuauflage der Ausgabe München 1973).

(8) R. Stauber (Anm. 4), S. 59.

(9) R. Stauber (Anm. 4), S. 60.

(10) Der folgende Abdruck nach R. Stauber (Anm. 4), S. 119. Die von Stauber in eckigen Klammern ergänzten Signaturen der Bayerischen Staatsbibliothek München wurden hier fortgelassen. Die Überschrift stammt von Schedel, die Numerierung wurde von mir hinzugefügt.

(11) Bayerische Staatsbibliothek München, Clm. 431, fol. 96 - 274v: "Itinerarium sive Peregrinatio... Hieronimi monetarij..."; fol 280-297: "De Inventione Affricae maritime et occidentalis ut genee Per Infantem Henricum Portugallie...". Dieser Bericht wurde veröffentlicht durch Friedrich Kunstmann: Hieronymus Münzer's Bericht über die Entdeckung der Guinea mit einleitender Erklärung. In: Abhandlungen der kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften, hist. Kl., Bd 7, Abt. 2. München 1855, S. 289-362.

(12) Liste der Ausgaben in John Alden: European Americana, Bd. 1: 1493 - 1600 New York 1980; die wahrscheinlich von J. Wolff in Basel gedruckte Ausgabe unter Nr.493/8.

(13) Zu Peutinger vor allem E. König (Anm. 6) und Heinrich Lutz: Conrad Peutinger. Beiträge zu einer politischen Biographie (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 9). Augsburg 1958.

(14) Benedikt Greiff (Hrsg.): Tagebuch des Lukas Rem aus den Jahren 1494 bis 1541, mit Anhang: Briefe und Berichte über die frühesten Reisen nach Amerika und Ostindien aus den Jahren 1497 bis 1506 aus Dr. Conrad Peutingers Nachlaß (26. Jahresbericht des historischen Kreisvereins im Regierungsbezirke von Schwaben und Neuburg für das Jahr 1860). Augsburg 1861.

(15) In der Ausgabe Straßburg: Johannes Prüs, 9. Febr. 1506, auf fol. b2v-b3 (Exemplar: Göttingen SUB, 4 H.Ger.un. I 772).

(16) Zur Rolle Peutingers bei der Vorbereitung und Durchführung der Indienfahrt vgl. H. Lutz (Anm. 13), S. 54-64.

(17) Transkription aus der Handschrift der Bayerischen Staatsbibliothek München, Clm 4021 b, fol 85-85v. Die dort von Peutinger zu fast jedem Band angegebenen Siglen, die eine Zuordnung zu seinem nach Buchgrößen geordneten Hauptverzeichnis ermöglichen, sind hier fortgelassen worden; um welche Ausgaben der angegebenen Werke es sich bei den einzelnen aufgeführten Titeln handelt, muß im Zuge der Rekonstruktion der Peutingerschen Bibliothek noch ermittelt werden. Die Überschrift stammt von Peutinger, Kürzungen wurden ohne besonderen Hinweis aufgelöst, Angaben in eckigen Klammern und die Numerierung wurden von mir ergänzt.

(l8) E. König (Anm. 6), S. 150.

(19) Schön ist hier die Formulierung des Johannes Cochlaeus im Brief an Antonius Kreß, datiert 10. Oktober 1511, abgedruckt als einleitender Widmungsbrief seiner Ausgabe der Cosmographia des Pomponius Mela (Nürnberg 1512), fol. A1v (Exemplar: Göttingen SUB, 8 A.lat. III 8398): "Credo equidem Geographiam id esse historiis quod Sol est mundo."

(20) Zum Begriff der "humanistischen Naturwissenschaft", der den erheblichen Einfluß humanistischer Studien auf die Entwicklung der Naturwissenschaften und deren engen Zusammenhang unterstreicht und damit einen wichtigen Aspekt der Geschichte des Humanismus gerade im deutschen Sprachbereich hervorhebt, vgl. die Arbeit von Helmuth Grössing: Humanistische Naturwissenschaft. Zur Geschichte der Wiener mathematischen Schule des 15. und 16. Jahrhunderts (Saecula spiritalia, Bd. 8). Baden-Baden 1983, S. 17-64. Die im deutschen Humanismus in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stark zunehmende Intensität derVerbindung von Humanismus und Naturwissenschaft betont Dieter Wuttke: Beobachtungen zum Verhältnis von Humanismus und Naturwissenschaft im deutschsprachigen Raum. In: Günther Hamann (Hrsg.): Der Weg der Naturwissenschaffen von Johannes von Gmunden zu Johannes Kepler (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Bd. 497). Wien 1988, S. 119-138.


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