Karte, Kartographie. Kartographie hatte im MA weithin dienende Funktion, d. h. sie illustrierte geogr. Erscheinungen. Entsprechend sind die meisten K.n nicht etwa in geogr. oder gar geometr.-astronom. Werken zu finden, sondern in lit., theol., hist., jurist. und polit.-programmat. Texten, wenn sie nicht, wie die älteren Portulane, ganz ohne schriftl. Zusammenhang überliefert sind. In dieser dienenden Funktion nehmen die K.n - ähnl. wie in der NZ themat. K.n - Elemente auf, die nicht strikt aus geogr. Sachverhalten bestehen. Außerdem sind die Mittel der Darstellung sehr vielfältig, im einen Extrem nicht immer von der Malerei, im anderen schwer von Architekturplänen oder geometr. Zeichnungen zu trennen. Aus wissenschaftshist. Sicht ist die ma. Kartographie zu beschreiben als Kartographie des Übergangs von der freihändigen Zeichnung der Erdoberfläche und einzelner ihrer Teile nach dem Augenschein hin zur geometr. systemat. Erfassung und Darstellung geogr. Sachverhalte. Die wiss. Kartographie erwuchs aus den beiden Quadriviumfächern Geometrie und Astronomie. Im MA vereinigten sich hierbei zwei unterschiedl. Grundlagen: das Bemühen der Griechen, mittels astronom. Längen- und Breitenbestimmung der geogr. Orte die gesamte Erde zu erfassen, und das Interesse der Römer, durch Landvermessung die Ausdehnung der Länder festzuhalten. Sowohl nach der Erhebung der Daten als auch nach der Methode der Darstellung gliedert sich die ma. Kartographie folgendermaßen: 1. Schemak.n, respektive schemat. Zeichnungen, 2. freihändige Zeichungen und Gemälde nach Augenschein, 3. durch Vermessen und Projektion erstellte K.n. [1] Aus der Antike übernommen sind verschiedenartige schemat. Zeichnungen, die die ganze Erde skizzieren: das sog. T-Schema 8, mit dem die Größenverhältnisse der Kontinente Europa, Asien und Afrika (im Anschluß an Herodot, modifiziert seit Augustinus) angegeben werden und das, neben dem Planetensymbol ?, zum weitverbreiteten Zeichen für die Erde wurde; das sog. Schema der Klimazonen (Zonenk.), das sieben oder mehr Streifen gleicher geogr. Breiten auf der n. Halbkugel (im Anschluß an verschiedene hellenist. Autoren) aufweist; die 5-Zonen-K.n (nach Macrobius), die die n. und s. Halbkugel nach ihrer Bewohnbarkeit in zwei arkt., zwei gemäßigte Zonen und eine verbrannte Zone einteilten. Trotz ihres geringen geogr. Aussagewertes werden diese Zeichnungen in der Lit. oft zu den mappae mundi gezählt. Die Schemata liegen, mit gewissen Modifikationen, auch den freihändigen Zeichnungen und Gemälden zugrunde. Zu den reinen Schemata zählen noch die gezeichneten Itinerare, die allerdings im späteren MA nur einzelne Wegstrecken beinhalten, während das das ganze Imperium Romanum umfassende Itinerarwerk, die sog. Tabula Peutingeriana (4. Jh.; nur in einer Abschrift des 13. Jh. erhalten) keine Fortführung gefunden hat. Rein schemat. ist ein Teil der Jerusalem-'pläne', die als Bezug auf Christus nur ein + oder X aufweisen. Zeitl. sind diese schemat. Zeichnungen über das ganze MA verteilt und leben auch noch in Drucken fort. [2] Die Grenze zw. den Schema-K.n und den freihändigen Zeichnungen ist nicht immer leicht zu ziehen, wenn etwa in die meist kleinformatigen, z. T.. auch geringfügig abgewandelten Schemata weitere geogr. Namen und Umrisse eingetragen sind (in Hss. von Sallust und Isidor v. Sevilla), oder wenn eine mit vielen Namen beschriebene Fläche gar keine, respektive nur spärl. graph. Unterteilung (z. B. bei Ranulph Hidgen, 14. Jh.) aufweist. Eindeutig in diese Gruppe fallen die wirkl. mappae mundi, sofern damit überhaupt eine K. (nicht ein Text oder ein Globus) gemeint ist. Ihr gemeinsames Charakteristicum ist, daß Größenverhältnisse und Umrisse von Ländern und Gebirgen, die Lage von Orten und Flußläufe weitgehend willkürl. gezeichnet sind. Häufig ist ein Rest des T-Schemas zu erkennen, der dem Gesamtplan der K. eine Struktur gibt, oft liegt Jerusalem im Mittelpunkt und ist bes. hervorgehoben. Darüber hinaus enthalten diese K.n Zeichnungen von polit., religiösen, hist., mytholog. und myth. Gestalten und Geschehnissen. Bes. reich ist in dieser Hinsicht die Ebstorfer Weltk. (1235-39, nach A. Wolf). Erstaunl. wenig beeinflußt von ihrem zugeordneten Text sind dagegen die meist nicht bes. dekorativen K.n im Offb-Komm. des span. Mönchs Beatus v. Liebana († nicht vor 798). Außer der Ebstorfer K. sind noch zwei großformatige mappae mundi erhalten: die Vercelli-K. (um 1200) mit 84 × 72 cm und die Hereford-K. (ca. 1283). Unter den mappae mundi, die eine Buchseite ausfüllen, seien erwähnt die Albi-K. (9.[?]Jh.), die Cottaniana aus einem Prisciantext (10. Jh.), die K. des Heinrich v. Mainz (12. Jh.), die K. des Matthaeus Paris (13. Jh.), eine engl. Psalterk. (13. Jh.), sowie mehrere K.n des Ranulph Higden (14. Jh.). Während diese mappae mundi nur recht lose mit den Texten, denen sie zugeordnet sind, in Zusammenhang stehen, gab es noch weitere - auch nur freihändig gezeichnete - K.n, die zur Illustration von Rechtsstreitigkeiten, von hist.-geogr. Beschreibungen und von techn. Bauten dienten: die Inselk.n (Isolario) des ö. Mittelmeers, Lage- und Stadtpläne (Situs), Regionalk.n, Küsten- und Routenskizzen im Bereich der skand. Schiffahrt, Pläne von Wasserleitungen. Diese K.n sind vermutl. noch nicht auf der Basis geodät. Messungen entstanden, obwohl Vermessungsmethoden seit dem 10. Jh. entwickelt, jedoch bis zum Ausgang des MA nicht auf kartograph. Niveau angewendet wurden. Es wurde vielmehr nach Augenschein gezeichnet. Durch die Angabe von Entfernungen oder - selten - im quadrat. Gitter (Palästina-K. des Pietro Vesconte, 1320) wird bei einzelnen K.n erstmals (seit den Agrimensorentexten) der Versuch eines Maßstabes erkennbar. Dadurch wird bei dieser Gruppe der K.n die Grenze zu den vermessenen und projizierten K.n fließend. [3] Während die letztgenannte Gruppe von K.n zur Landesaufnahme gehören, die im 16. Jh. durch die erste Triangulationen (Apian, Gemma Frisius, Mercator) weitergeführt wird, gehören die Ptolemaeusk.n und die Portulane zum Typ der Weltk.n. Der hellenist. Astronom Ptolemaeus hatte um 100 n. Chr. in seinem Werk »Kosmographie« das Gradnetz und Projektionsmethoden als Grundlagen der Kartographie erläutert und gefordert, daß die geogr. Länge und Breite von Orten mit von ihm angegebenen astronom. Messungen bestimmt werden sollten. Das erhaltene Werk umfaßt tatsächl. lange Ortslisten mit ihren Längen- und Breitengraden. Während die Breitenbestimmung kein größeres Problem bot, ist Ptolemaeus selbst zur exakten Längenmessung nicht gekommen, sondern hat auf die Daten der augusteischen Landvermessung zurückgegriffen. Seine K.n zeigen - neben anderen Fehlern - eine charakterist. Verzerrung des mittleren Mittelmeeres, die vermutl. auf eine Fehleinschätzung des Erdumfanges zurückzuführen ist. Wahrscheinl. wurden die ursprgl. Ptolemaeus-K.n von byz. Kartographen des 11. und 12. Jh. erhebl. verbessert bzw. erst auf ihren jetzigen Stand gebracht. Im 13. Jh. gelangten erste Exemplare nach Italien, seit 1409 liegt eine lat. Übers. durch Jacopo Angelo vor, seit 1477 wurde die »Kosmographie« mit allen K.n durch Drucke verbreitet (erster dt. Druck Ulm 1482). Im w. Mittelmeer entstanden im 13. Jh. Küstenk.n (Portulane), die Mittelmeer, Schwarzes Meer und später auch die west- und nordeurop. Küsten umfassen. Moderne Überprüfungen ergaben eine wesentl. höhere Genauigkeit der Portulane als der Ptolemaeus-K.n. Die Portulane sind nicht in das Gradnetz projiziert, ja sie haben überhaupt keine einheitl. Projektion, obwohl sie alle von einem (geometr.) Netz von Sehnen überzogen sind, die je nach K. in unterschiedl. Anzahl von Punkten einen oder mehrere Kreise schneiden. Sie heißen auch Kompaß-K.n (compass = Zirkel), weil sie im wesentl. mit dem Zirkel hergestellt wurden. Die scheinbare oder sogar angezeigte Nordlage der K.n weicht um ca. 11° nach W vom magnet. Nordpol ab. Den Landgebieten ist relativ wenig Beachtung geschenkt worden, manchmal sind die leeren Flächen prächtig mit Figuren oder Stadtansichten geschmückt. Von Pietro Vesconte sind auch Detailk.n der Mittelmeerküsten überliefert. In den Küstengewässern weisen verschiedene Zeichen auf die Fahrstraßen, respektive Hindernisse hin, die polit. Verhältnisse auf den Inseln des ö. Mittelmeeres sind mit bes. Sorgfalt durch Flaggen markiert. Als Grundlage der Portulane dürften einzelne astronom. Vermessungen, gekoppelt mit Entfernungsmessungen, gedient haben. Die älteste erhaltene K. (sog. Pisa-K.) entstammt dem ausgehenden 13. Jh. Wichtige Portulanmacher des 14. Jh. waren: Angelino Dulcert, Giovanni Carigniano, Domenico und Francesco Pizigano, Guilermo Soler, Cresques Abraham (Katalan. Weltkarte), Pietro Vesconte. Im ausgehenden 15. Jh. wurden neue K.n mit den jeweiligen Vorzügen der Portulane (Genauigkeit) und der Ptolemaeus-K.n (Gradnetz) hergestellt. Als dekoratives Element lebten die Sehnen-Netze auf Seek.n noch bis ins 19. Jh. fort. Nicht in dieser Gliederung unterzubringen sind K.n mit Symbolcharakter. Das kann K.nteile betreffen wie das herzförmige Sizilien und das sandalenförmige Sardinien auf der Ebstorfer K. Hier handelt es sich um reine Schematisierungen. Als Mittel der polit. Propaganda hat Opicinus de Canistris in einem Portulan Europa als hilflose Frau und das islam. N-Afrika als aggressiven Mann gezeichnet. Solche figürl. Transpositionen finden in der frühen NZ mehrfach Nachahmung. Die islam. Kartographie bewegte sich zum großen Teil im Bereich der mappae mundi, auch was die Funktion als Illustration in nicht-geogr. Texten betrifft. Als im 8. und 9. Jh. das Interesse an antiker gr. Wiss. groß war und Kalifen die Übers. antiker Texte ins Arab. förderten, wurde auch die Kosmographie des Ptolemaeus übersetzt, sogar zweimal, aber im Gegensatz zum Almagest haben die Araber der Kosmographie keine weitere Beachtung zugewandt. Die Weltk. des Geographen al-Idrisi (ca. 1100-ca. 1165) galt als unabhängige, große Leistung, obwohl man sie heute im Mittelmeerraum und in Europa für weniger genau halten würde als die uns bekannten K.n der Kosmographie, die aber entscheidende Verbesserungen möglicherweise erst in Byzanz erfuhren. In N-Afrika und Asien bietet sie allerdings Informationen, die auf europ. K.n damals nicht zu finden waren. Seit dem ausgehenden 14. Jh. gab es auch K.n des Portulantyps mit arab. Beschriftung. U. Lindgren Literatur P. Schnabel, Text und K.n des Ptolemaeus, 1939 J. Vernet-Ginés, The Maghreb Chart in the Bibl. Ambrosiana, Imago Mund: 16, 1962 B. Degenhart - A. Schmitt, M. Sanudo und P. Veneto, Röm. Jb. für Kunstgesch. 14, 1973 P.D.A. 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LexMA 5, 1022-1023 Quelle: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM-Ausgabe. Verlag J. B. Metzler 2000. LexMA 5, 1023-1024 ---------------------------------------------------------------------- Portulan (portus 'Hafen'), ma. Seekarte, zeigt Mittelmeer- und Schwarzmeerküsten und in neueren Versionen auch europ. Atlantikküsten, bei denen die Namen von Häfen, Kaps und anderen Merkmalen senkrecht zur stilisierten Küstenlinie stehen. Über die Karte ist anstelle des Koordinatennetzes ein regelmäßiges, geometr. Liniensystem aus Sehnen eines oder mehrerer Kreise gelegt. Vom astronom. Norden weicht die Karte um 7-12 Grad ab. EDV-gestützte Unters.en der Punktgenauigkeit von ca. 350 Orten ergaben einen maximalen Punktfehler von ± 40 km (= ca. 1/3 Grad auf einem Großkreis der Erde). In neuerer Zeit wurden außerdem Texte zur Herstellung und Benutzung der P.e gefunden. Die ersten P.e entstanden zw. ca. 1150 und 1250 im w. Mittelmeer. Die ältesten P.e im ital. Stil zeigen ausschließl. die Küsten, beim katal. Stil ist das Inland mit hist.-geogr. Motiven dekoriert. Als Voraussetzung für genaue Karten war in der Antike (Eratosthenes, Ptolemaios) die Bestimmung der geogr. Koordinaten festgelegt worden, wobei die Längenbestimmung noch problemat. blieb. Der entscheidende Fortschritt (sog. Monddistanzenmethode) wurde im 9. Jh. von arab. Astronomen erreicht, um die im Koran vorgeschriebene Gebetsrichtung zu bestimmen. Die notwendigen Hilfsmittel (astronom. Instrumente, Stern- und Mondtabellen, Methoden zur Bestimmung der Ortszeit) sind über Spanien ins Abendland gelangt. Mit Hilfe von Koordinatentabellen hat man die Orte zuerst auf einen großen Globus aufgetragen, sodann einen kreisförmigen Ausschnitt für den P.gewählt und diesen mit einem Zirkel auf das Pergament übertragen. Das Sehnennetz wurde zuletzt und aufjedem P. anders aufgebracht und durch die Kompaßrosen die magnet. Nordrichtung angegeben, die im SpätMA im P.gebiet um ca. 7-12° vom astronom. Norden abwich. Bei der Benutzung wurde ein Magnetnadelkompaß (Bussole) so auf eine Kompaßrose des P.s gelegt, daß Magnetnadel und Nordpfeil der Kompaßrose übereinstimmten. Der Navigator konnte dann Richtung und Entfernung mit dem Zirkel (compasso) abgreifen. Die magnet. Deklination (Mißweisung) fiel bei Benutzung eines aktuellen P.en nicht ins Gewicht, weil auf den Karten die jeweils aktualisierte magnet. Nordrichtung angegeben war. Karte, Kartographie. U. Lindgren Literatur J.K. Wright, Notes on the Knowledge of Latitudes and Longitudes in the MA, Isis 5, 1923 D.B. Durand, The Vienna-Klosterneuburg Map Corpus of the 15th Cent., 1952 A.J. Duken, Die math. Rekonstruktion der Portolankarte des Giovanni Carignano (ca. 1310), 1984 A. Dürst, Die Seekarte des Andrea Benincasa (Borgiano VIII) 1508, 1984 J.L. Berggren, Episodes in the Mathematics of Medieval Islam, 1986 The Hist. of Cartography, I, II, hg. J.B. Harley-D. Woodward, 1987, 1992 [Beitr. T. Campbell, D. King-R. Lorch, G.R. Tibbetts] - P. Mesenburg, Rechnergestützte Analyse zum kartograph. und geodät. Informationsgehalt von Portolankarten (Kartographiehist. Colloquium Wien 1986, hg. W. Scharfe u. a., 1987) J. Ma. Millàs Vallicrosa, Estudios sobre hist. de la ciencia española, 2 Bde, 1987 U. Lindgren, Naturwissenschaftl. und techn. Planungsgrundlagen für die span. Expedition von 1492 (Kolumbus oder wer entdeckte Amerika?, hg. W. Stein, 1992) W. Stein, Battista Agnese P. Atlas, 1993 W. Stein, Die Geographie als Naturwiss.? Wie Albertus Magnus ein Forschungsdesiderat begründete (Fschr. O. Engels, 1993).