Antike Überlieferungen auf deutschen Weltkarten und Globen zwischen 1480 und 1520

Franz Wawrik

In: Bott, G.; Willers, J. (Hrsgb.): Focus Behaim-Globus. Referate des internationalen Kolloquiums im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg - 5.4.-6.4.1990, Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Nürnberg, April 1991.


Abb. 1 Ptolemaeische Weltkarte. Verona(?), um 1460.
Oesterreichische Nationalbibliothek Wien

Es war die "Geographikè hyphégesis", die "Einführung in die Geographie" (besser hätte es heißen müssen "Einführung in die Kartographie"), des im 2. nachchristlichen Jahrhundert in Alexandria wirkenden Claudius Ptolemaeus, die den Weg in die moderne Kartographie wies. Durch die darin enthaltene Projektionslehre sowie die aufgelisteten Koordinaten von mehr als 8000 Orten (Städte, Flüsse, Gebirge) wird die zeichnerische Darstellung der bekannten Erdoberfläche ermöglicht. Ob Ptolemaeus selbst seiner "Geographia" Karten beifügte, ist ungewiß, da die frühesten überlieferten Handschriften mit Tafeln aus dem Hochmittelalter stammen. Von 1400 bis etwa um 1550 übte das Werk einen überragenden Einfluß auf die Kosmographen des christlichen Abendlandes aus. Ausschlaggebend waren dafür folgende Kriterien: der systematische und logische Aufbau und die innere Struktur, die verwendeten Projektionsarten, die Raum für Eintragungen neuer geographischer Entdeckungen boten, zahlreiche (zumindest vermeintlich) exakt bestimmte Punkte der bekannten Erdoberfläche und die Wechselwirkung zwischen der Weltkarte und den 26 Regionalkarten, die diese Vorform eines "Atlasses" auszeichnete. Obwohl schon wenige Jahre nach dem Bekanntwerden der "Geographia" im christlichen Abendland ihre Mängel offenkundig waren, blieb sie doch die Autorität, die sich nur langsam unter dem Zwang der Erkenntnisse der Entdeckungsreisen sowie der Verbesserung der Vermessungstechnik aufzulösen begann. Manche Fehler hielten sich allerdings noch recht lange, etwa die Insel Taprobane (= Ceylon), vor allem aber die Darstellung der Nilquellen, die sogar erst im 19. Jahrhundert richtiggestellt werden konnte.

Im Verlauf des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren es vor allem Wissenschaftler aus dem süddeutschen Raum, die neues Wissen in das klassische Weltbild einfügten. Sie erreichten durch "Tabulae modernae", daß die "Geographia" des Ptolemaeus noch lange als aktuelles Werk angesehen wurde. Zumindest anfangs begnügte man sich damit, klassische Tafeln nur mit neuen Toponymen zu versehen, wie Nicolaus Germanus dies etwa mit der "Tabula moderna" Spaniens vorführte.

Kosmographen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit behaupteten fast immer in Kartentiteln oder in Begleitschriften, die ptolemäischen Darstellungen als Grundlage anzuerkennen und sie bloß aufgrund aktueller Reiseberichte ergänzen zu wollen. Überdies lehrte die "Geographia" des Ptolemaeus die Renaissancegelehrten in methodischer Hinsicht das Arbeiten mit einem auf mathematischer Grundlage basierenden Koordinatennetz. Erst dadurch wurde es ihnen möglich, neue, verbesserte Projektionsentwürfe zu entwickeln, und überdies wurden ihnen die Wechselbeziehungen zwischen Klimaten, Parallelen und geographischer Breite verständlich gemacht.

Schon die Pythagoräer hatten auf der von ihnen als Kugel angesehenen Erde fünf Klimate eingeführt. Sie verstanden unter "Klima" den Neigungswinkel, unter dem Sonnenstrahlen auf der Erdoberfläche einfallen und von dem die Tageslange abhängt. In weiterer Folge wurde "Klima" als ein Gürtel zwischen zwei bestimmten Einstrahlungswinkeln bzw. geographischen Breiten angesehen. Hipparch war der Zusammenhang zwischen der Schattenlänge eines Ortes zur Mittagszeit des längsten Tages und seiner Entfernung vom Äquator bekannt (1). Eudoxus von Knidos war vermutlich imstande, die Polhöhe aus der Zeitdauer des längsten Tages zu bestimmen (2). Auf den klassischen Tafeln des Ptolemaeus finden sich an den Kartenrändern Angaben sowohl zu den Klimaten und Parallelen, als auch zu den Breiten. So gibt es auf der Weltkarte 7 Klimate, 21 Parallelen, die die maximale Tageslänge in Abständen von Viertelstunden markieren, und 63 Breitengrade auf der Nordseite sowie 1 Klima, 4.Parallelen und 16 Breitengrade im Süden.

Martin Waldseemüller behielt auf seiner Wandkarte von 1507 dieses Schema bei, mußte es aber ausdehnen, um die im Norden und Süden neuaufgefundenen Länder einzeichnen zu können. Auf der "Universalis Cosmographio" erscheinen demnach nördlich des Äquators die altbekannten 7 Klimate (sie reichen weiterhin nur bis 60°), nunmehr aber 30 Parallelen (bis zum Pol) und 90 Breitengrade. Schließlich treten auch Angaben über die Größe der Längengrade in bestimmten Breiten auf.

Die "Geographia" des Ptolemaeus wirkte europaweit, wie dies Józef Babicz sieht, wenn er meint: "... deren lateinische Ausgaben bildeten ein Moment der Internationalisierung und Integration, das angesichts der desintegrierenden Bestrebungen der Renaissance, die in der Länderkartographie ebenfalls sich ausprägten, an Bedeutung gewann" (3).

In die dekorative Gestaltung, aber auch in den Karteninhalt jener Werke, die sich auf die streng sachliche "Geographia" beriefen, floß einiges aus der Vorstellungswelt des Mittelalters ein, das nicht selten seine Wurzeln ebenfalls im Altertum hatte. Es handelt sich dabei u.a. um phantastische Gestalten. Diese gehen gewöhnlich auf antike Berichte zurück: in erster Linie auf die "Historia Naturalis" des Gaius Plinius Secundus (23-79 n.Chr.), der in den 37 Büchern aber auch Schilderungen älterer Autoren wiederholt. Trotz seiner geringen Wissenschaftlichkeit bildete das Werk bis in die frühe Neuzeit eine absolute Autorität auf dem Gebiet der Geographie. Die Überlieferung scheint aber über mittelalterliche kartographische Darstellungen erfolgt zu sein, da es sie bei Ptolemaeus nicht gibt.

Als ein weiteres Beispiel seien die "Windbläser" angeführt, die gewöhnlich in der Form pausbäckiger Männerköpfe das Kartenbild umgeben. Sie dienen der Angabe der Hauptwindrichtungen. Vier Winde hatten ihre Namen schon von Homer erhalten: Boreas (Norden), Euros (Osten), Notos (Süden), Zephyros (Westen). Andronicus Cyrrhestis vermehrte sie auf 8, Aristoteles und nach ihm Plinius auf 12, Vitruvius auf 24, die italienischen Hersteller von Portolanen schließlich setzten im Spätmittelalter 32 Winde für ihre Windrosen fest. Die "Geographia" des Ptolemaeus folgte Plinius mit 12 Winden, wobei häufig sowohl deren lateinische als auch ihre griechischen Bezeichnungen angeführt sind. Die mittelalterliche Walsperger-Karte hatte ihre Windrose von Vitruv mit 24 Unterteilungen übernommen. Im Zusammenhang mit einer ptolemäischen Weltkarte sollen Windbläser erstmals in einer um 1460 in Verona angefertigten Sallust-Handschrift aufgetreten sein (4) (Abb. 1). Auch sonst wurden kartographische Darstellungen zunehmend bildhaft. So kommen Stadtveduten, Tier- und Menschenbilder und ähnliches hinzu. Als Quellen dafür dienten u.a. die im Mittelalter wohlbekannten Arbeiten von Strabo sowie die unkritischen Kompilationen eines Plinius und Solinus.

Einer der frühesten Kartographen, die sich kritisch mit der ptolemäischen "Geographia" auseinandersetzten, war Nicolaus Germanus, der vermutlich herausragendste Bearbeiter des Werkes (5). Er verwendete für die Weltkarten seiner 2. und 3. Manuskript-Rezension die sogenannte "zweite Projektion des Ptolemaeus" oder "Homeotherische Projektion", die der Bonne'schen Projektion ähnelt. Sie besitzt drei längentreue Breitenkreise (die Parallelen von Thule, Syene und Agisymbo) als konzentrische Kreisbogen sowie gebogene Längengrade, von denen nur der (geradlinige) Mittelmeridian Längentreue besitzt (6). Diese Projektion war vor allem von dem bedeutenden Bearbeiter der "Geographia", dem in Rom wirkenden Deutschen Donis Nicolaus Germanus in den Jahren 1466-1482 für die Weltkarte der 2. und 3. Manuskript-Rezension herangezogen worden. 1482 und 1486 wurde sie für die beiden Auflagen des "Ulmer Ptolemaeus" herangezogen, der ja auf einer Handschrift des Nicolaus Germanus basiert (7).


Abb. 2 Weltkarte des Henricus Martellus Germanus. Florenz(?), um 1489

Als es wegen der neu ins Bewußtsein der Europaer getretenen Länder notwendig wurde, das Projektionsnetz nach Osten - und bald darauf auch nach Westen - zu verlängern, erschien die 2. ptolemäische Projektion als besonders dafür geeignet. Sie wurde zuerst von Martellus für seine Weltkarten verwendet und dabei ursprünglich auf 225°, dann auf 275° erweitert. Waldseemüller wandte sie für die Weltkarte von 1507 an. Da sie in höheren Breiten arge Verzerrungen mit sich bringt, war es notwendig, sie in diesen Regionen zu modifizieren. Der Nullmeridian von Ferro wurde von Marinus von Tyrus gewählt und später von Ptolemaeus übernommen. Hipparch von Nikaia, der das terrestrische Gradnetz erfand, hatte noch Rhodos mit dem Nullmeridian überzogen. In der Renaissance folgte man anfangs Ptolemaeus; Martin Waldseemüller und Johannes Schöner aber wählten die Insel Porto Santo bei Madeira als Position für ihren Nullmeridian.

Noch wichtiger wurde Henricus Martellus Germanus, der zwischen 1480 und 1496 in Florenz und Rom wirkte. Von ihm kennen wir mehrere handschriftliche Versionen der ptolemäischen "Geographia", aber auch die "Isolarien", die um 1489/90 entstanden sein müssen. In diesen findet sich eine neuartige Weltkarte, die gegenüber der klassischen Tafel des Ptolemaeus einige bemerkenswerte Änderungen aufweist (Abb. 2). Sie zeigt die Südspitze Afrikas und einen im Süden offenen Indischen Ozean. Damit folgte Martellus alten Theorien eines die Alte Welt umschließenden Weltmeeres. Seine Karte ist auf 225 Längengrade erweitert (gegen die 180° bei Ptolemaeus), wobei er sich offensichtlich auf die Vorstellungen des Marinus von Tyrus stützte, die allerdings nur in der Form überliefert waren, in der sie Ptolemaeus erläuterte und dabei zu widerlegen versuchte. Henricus Martellus ging dabei so vor, daß er bis zum 180. Längengrad die Toponyme des Ptolemaeus, dahinter solche des Marco Polo anführte.

Eine erst 1961 bekannt gewordene Wandkarte des Martellus (8), die um 1490, bald nach der gerade besprochenen entstanden sein muß, gilt heute als das "missing link" zwischen ptolemäischen und modernen Weltkarten (9). In einer Erläuterung werden der Alexandriner, Strabo sowie andere antike Gelehrte eigens genannt (10). Martellus fügte im äußersten Osten weitere 50 Längengrade hinzu (so daß er nun auf 275° kam), um nun auch das aus dem Reisebericht des Marco Polo bekannt gewordene Japan ("Zipangu") einzeichnen zu können. Die Wiedergabe des atlantisch-pazifischen Raumes (um mit modernen Toponymen zu sprechen) basiert zweifellos auf der berühmten, aber verschollenen Karte des Paolo dal Pozzo Toscanelli aus dem Jahr 1474. Die Abbildungsform der Martellus-Karten erinnert an die 2. oder Homeotherische Projektion des Ptolemaeus, mit ihren gebogenen Längen- und Breitengraden. Außerdem sind alle jene Regionen, von denen der Autor keine neuen Kenntnisse besaß, ganz und gar im klassischen Sinne dargestellt, so das Innere Afrikas und Asiens. In Nordasien zeichnete Martellus z.B. die Berge der Hyperboräer (Männer jenseits des Nordwindes) ein. Hesiod war vermutlich der erste, der über jenes Volk berichtete, das angeblich jenseits der kalten Regionen in einem paradiesartigen Land leben sollte. Beinahe gleichzeitig, 1492, schuf in Nürnberg Martin Behaim den berühmten "Erdapfel". So profunde Gelehrte wie Hartmann Schedel und Hieronymus Münzer stellten ihm ihre Bibliotheken zur Verfügung, in denen u.a. die Werke von Herodot, Strabo, Plinius d.J. und Ptolemaeus enthalten waren; ebenso wie die enzyklopädischen Arbeiten des Isidor von Sevilla, "Origines sive Etymologiae" sowie "De natura rerum", die zu Beginn des 7.Jahrhunderts verfaßt, eine Übersicht über das Wissen am Ausgang der Antike enthielten. Das Kartenbild des Behaim-Globus, des ältesten erhalten gebliebenen Erdglobus, ähnelt stark den Werken des Martellus, weicht aber doch in vielen Details ab. Ansonsten beruht Behaims Globus auf der zehn Jahre zuvor in Ulm veröffentlichten "Geographia", die selbst ein Ptolemaeus-Manuskript des Nicolaus Germanus zum Vorbild hatte (11). Als Quellen nennt Behaim in einer der zahllosen auf der Kugel vorhandenen Inschriften die Bücher "... Ptolom, Plinii, Strabonis und Marco Polo und also zusammengefüget alles Meer und Erden, jegliches noch seiner Gestalt und Form" (12). Auch in anderen Eintragungen beruft er sich mehrmals auf den alexandrinischen Gelehrten.

Den nächsten Meilenstein in der Entwicklung der Kartographie bildeten die Arbeiten des im Elsaß wirkenden Kosmographen Martin Waldseemüller, der mittels Quellenkritik versuchte, eine Synthese zwischen antikem Weltbild und neuen Erkenntnissen zu schaffen. Die zwei berühmten Weltkarten Waldseemüllers erschienen 1507 und 1516. Zeitlich dazwischen liegt der "Straßburger Ptolemaeus" von 1513. Die Weltkarte von 1507, "Universalis Cosmographia secundum Ptholomaei traditionem et Americi Vespucii aliorumque lustrationes" (13), geht in ihrer Grundkon zeption auf die Martellus-Wandkarte und den Behaim-Globus zurück, weist aber schon die Neue Welt auf. Waldseemüller gibt im Titel der Karte eindeutig die ptolemäische "Geographia" als Grundlage an, die er nur durch die von Entdeckungsreisenden gewonnenen neuen Erkenntnisse ergänzt haben wollte. In diesem Sinn verwendete er für die Karte noch immer die 2. Projektion des Ptolemaeus, mußte sie aber, um die neuen Gebiete eintragen zu können, von 180 auf 360 Längengrade ausdehnen. Neben den Breitenangaben finden sich am linken Kartenrand nach wie vor Daten zur Tageslänge und zu den Klimaten, wie dies ebenfalls aus dem Altertum überliefert war. Auch hierbei folgte Waldseemüller dem Ptolemaeus, den er übrigens - gleichsam als Referenz - am oberen Blattrand porträtierte. Allerdings benutzte er daneben für Details auch andere antike Autoren wie Solinus und Pomponius Mela (14). Zur "Universalis Cosmographia" gehört ein Kommentar, "Cosmographiae introductio". Es handelt sich dabei um eine kurzgefaßte Einführung in die Mathematische Geographie, ein Exzerpt des ersten Buchs der "Geographia".

Von besonderem Interesse ist das dem "Straßburger Ptolemaeus" beigebundene "In Claudii Ptolemei Supplementum". Waldseemüller nahm darin 20 Tafeln auf, die jedoch durchwegs auf zeitgenössischen Angaben beruhen. Im Titel dieser Ergänzung nahm er allerdings noch auf die "Geographia" bezug.

Auf der Weltkarte des "Straßburger Ptolemaeus" sind interessanterweise die Winde verkehrt herum eingetragen. Richtig erscheinen sie hingegen auf Waldseemüllers "Universalis Cosmographia". Seine "Carta Marina" weist hingegen schon in der Art der Portolane 32 Windrichtungen mit deutschen (teilweise auch mit italienischen) Bezeichnungen auf.

Hinsichtlich der Erprobung neuer Projektionsarten erscheint die Karte der Alten Welt von Johann Stabius und Albrecht Dürer aus dem Jahr 1515 von Interesse (15) (Abb. 3). Das Kartenbild folgt offenbar dem Behaim-Globus, doch wurde eine neuartige Projektion verwendet. Sie ähnelt jener kleinen Hemisphärenkarte, die dem sogenannten "Deutschen Ptolemaeus" beigebunden ist. Diese Darstellung entstand vermutlich um 1490 in Nürnberg; als ihr Schöpfer wird Jörg Glogkendon angesehen (16), den wir auch vom Behaim-Globus und den Etzlaub-Karten her kennen. Beide Werke, sowohl das von 1490, als auch die Stabius-Dürer-Karte sind kreisförmig, doch ist letztere mittels der orthogonalen Horizontalprojektion konstruiert, die eine perspektivische Darstellung der Erdkugel ermöglicht (17). Die Stabius-Dürer-Karte erstreckt sich über den Nordpol hinaus (ungefähr bis zum 75. Breitenkreis) und im Süden bis etwa 50°, zeigt also die seit Martellus und Behaim bekannte offene Einfahrt in den Indischen Ozean. Infolge dieser Perspektive erscheint das Bild allerdings stark verzerrt. Damit bleibt eine Stellungnahme zur ungelösten Frage der asiatischen Ostküste erspart. Der Kontinent verliert sich am Kartenrand. Bemerkenswerterweise fehlen alle Toponyme, die auf Marco Polo hinweisen. Im Bereich der Arktis haben sich Stabius und Dürer die Freiheit erlaubt, den ungesicherten Küstenverlauf in zwei verschiedenen Varianten einzutragen.

In dieselbe Zeit wie die Stabius-Dürer-Karte fallen die Anfänge des kartographischen Schaffens von Johannes Schöner. Dieser bedeutende Astronom und Kosmograph befaßte sich u.a. mit dem Bau von Globen. Als Grundlagen benutzte er insbesondere die verschiedenen Arbeiten Waldseemüllers, die er auch selbst besaß. Schöners Privatbibliothek befindet sich heute zum überwiegenden Teil in der Österreichischen Nationalbibliothek, der berühmte Codex mit den Waldseemüller-Karten von 1507 und 1516 in der Bibliothek von Schloß Wolfegg/Württemberg. Aufgrund verschiedener von Schöner eigenhändig in seinen Büchern vorgenommenen Korrekturen läßt sich einiges über seine kartographischen Intentionen aussagen (18).

Besprochen soll hier der Erdglobus von 1515 werden. Das Kartenbild der 27 cm-Kugel steht überwiegend unter dem Einfluß der Weltkarte Waldseemüllers von 1507 und damit mittelbar auch unter jenem des "Ulmer Ptolemaeus". Neu ist hingegen der fiktive Südkontinent, dessen ursprüngliche Theorie sich ebenfalls in das Altertum zurückführen läßt.

Schon damals hatten Wissenschaftler die Ansicht vertreten, daß bloß eine ähnliche Verteilung von Wasser und Land, wie man sie auf der Nordhalbkugel kannte, ein Schaukeln der Erde verhindere. Ein im 5. vorchristlichen Jahrhundert lebender jüdischer Gelehrter vertrat die Ansicht, nur der siebente Teil der Erdoberfläche sei von Wasser bedeckt, demnach kämen auf das Festland sechs Siebtel (19). Auf dem Globus des Krates von Mallos erschienen - getrennt durch gürtelförmige Ozeane, von denen einer entlang des Äquators, der andere entlang eines Meridians verläuft - vier Kontinente. Einer davon, die Ökumene, war bekannt. Südlich davon, jenseits des Äquators, lag der Kontinent der Antichthonen. Auf der Nordseite der Westhalbkugel nahm man das Land Periöken an, südlich davon den Erdteil der Antipoden. Die großen Leitfiguren der Kosmographen des 15. und 16. Jahrhunderts, Plinius, Solinus (20), Strabo und Claudius Ptolemaeus, folgten diesen Theorien. Auf der Weltkarte in der "Geographia" des letzteren wird der Indische Ozean zu einem Binnenmeer der Ökumene, indem Ostafrika durch die "Terra Incognita" in weitem Bogen mit dem äußersten Südostasien verbunden war. Diese Darstellung war hinfällig, sobald der Portugiese Bartolomeo Dias 1487 die Südspitze Afrikas gefunden hatte und in den Indischen Ozean eingefahren war. Auf muslimischen Weltkarten des Mittelalters war der Indische Ozean nach Osten hin offen gestaltet worden, auf christlichen erscheint er nach Süden geöffnet oder als Teil des peripheren Weitmeeres. Die Theorie eines geschlossenen Indischen Ozeans war aufgrund der Berichte muslimischer, italienischer und portugiesischer Reisender nicht mehr zu halten gewesen. So war zum Beispiel die Rückreise des Marco Polo aus China, die bekanntlich zur See erfolgte, nur durch einen zum Chinesischen Meer hin offenen Indischen Ozean möglich. Auch mittelalterliche Zonenkarten hatten eine "Terra incognita" ausgewiesen.


Abb. 3 Johannes Stabius und Albrecht Duerer, Oestliche Hemisphaere. Nuernberg 1515.
Oesterreichische Nationalbibliothek Wien

Als erster Kartenzeichner der Neuzeit griff Schöner die antike Theorie eines großen Südkontinents wieder auf. Auf seinem Globus von 1515 erscheint jedenfalls ein Südkontinent, ein riesiger den Pol hufeisenförmig umgebender Erdteil, der auch einige Einzelheiten, wie Gebirgsketten, einen Sumpf und einen von Bergen eingesäumten See, aufweist. Grundlage dafür war die "Copia der newen zeitung auss Presillg land", ein nur wenige Seiten umfangreiches Pamphlet, das eine frühe portugiesische Seereise beschreibt (21). Der prächtige Globus Schöners von 1520, den das Germanische Nationalmuseum verwahrt, folgt, was das Kartenbild anbelangt, im wesentlichen seinem Vorgänger von 1515, wenngleich schon aufgrund seiner Größe weit mehr Details eingezeichnet sind. Einen ersten radikalen Bruch mit der Tradition des Altertums führte Waldseemüller mit seiner riesigen "Carta Marina" von 1516 herbei, die zum überwiegenden Teil auf zeitgenössischen Quellen beruht. Da sie (wie schon ihr Name verrät) speziell für die Navigation gedacht war, basiert sie im wesentlichen auf spanischen und portugiesischen Seekarten, außerdem auf aktuellen Reiseberichten. Nur für solche Regionen, wo derartige Unterlagen fehlten (das waren in erster Linie die Binnenräume der außereuropäischen Kontinente), mußte Waldseemüller nach wie vor auf die "Geographia" des Ptolemaeus zurückgreifen. Einen nächsten Schritt weg von der Antike bedeuteten die herzförmige Weltkarte des Franzosen Oronce Finé von 1531 und ein davon beeinflußter, heute in Weimar aufbewahrter Globus von 1533/34, der heute (weitgehend unbestritten) Johannes Schöner zugeschrieben wird.

Anmerkungen

(1) Arpád Szabó: Mathematisch-geographische Messungen der hellenistischen Wissenschaft in Italien. In: Aufsätze zur Geschichte der Naturwissenschaften und Geographie (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte der Mathematik, Naturwissenschaften und Medizin, Bd. 44 = Österr. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. KI., Sitzungsberichte, Bd. 475). Wien 1986, S. 5-45., bes. S. 6. back

(2) A. Szabó (Anm. 1), S. 36. back

(3) Józef Babicz: Donnus Nicolaus Germanus - Probleme seiner Biographie und sein Platz in der Rezeption der ptolemäischen Geschichte. In: Wolfenbütteler Forschungen 7, 1980, S. 9-42, bes. S. 21. back

(4) Kolorierte Federzeichnung auf Pergament, 23,5 x 16,5 cm. (Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung, Cod. 216, fol. 49r). - Jörg-Geerd Arentzen: Imago Mundi Cartographica. Studien zur Bildlichkeit mittelalterlicher Welt- und Ökumenekarten (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 53). München 1984, S. 159-160. - Otto Mazal, Eva Irblich und Istvan Nemeth: Wissenschaft im Mittelalter. 2. Aufl. Wien 1980, S. 243. - Karl-Heinz Meine: Die Ulmer Geographia des Ptolemäus von 1482. Zur 500. Wiederkehr der ersten Drucklegung nördlich der Alpen. Ulm 1982, S. 41, Farbtaf. 7. back

(5) J. Babicz (Anm. 3), S. 9-42. back

(6) Arthur Dürst(Hrsg.): Die Cosmographia des Claudius Ptolemäus. Codex Urbinas Latinus 277. Eine Einleitung (Belser Faksimile Editionen aus der Biblioteca Apostolica Vaticana). Zürich 1983, S. 44-49. back

(7) J. Babicz (Anm. 3) back

(8) Bibliothek der Yale-University. back

(9) Alexander O. Vietor: A Pre-Columbian map of the world, ca. 1489. In: Imago Mundi 17, 1963, S. 95-96 (mit Abb.). back

(10) "Etsi Strabo ac Ptolemeus / et plerique veterum desc / ribendi orbis fuere stu / diosissimi novorum ta / men diligentia quedan / ad eis tanquam incog / nite pretermissa ad / invenit que nos h[] / picture ad veran lo / corum scientia exprimen / dam studiose iuncimus". back

(11) Raleigh Ashlin Skelton: Introduction. In: Ulmer Ptolemaeus, 1482 (Theatrum Orbis Terrarum, ser. 1, Bd. 2.). Amsterdam 1963, S. VI-X. back

(12) Ernest George Ravenstein: Martin Behaim, his life and his globe. London 1908. back

(13) Holzschnitt, 12 Blätter, Gesamtgröße 236 x 132 cm. Sie befindet sich, in ihre Einzelblätter zerlegt, in einem aus dem Besitz Johannes Schöners stammenden Codex in der Schloßbibliothek Wolfegg/Württemberg. back

(14) Ptolemaeus hatte im "Almagest", seinem astronomischen Hauptwerk, 26 Parallelen (bis Britannien, insgesamt demnach 30), in der "Geographia" 21 Parallelen vorgeschlagen. Vgl. Oswald Ashton Wentworth Dilke: Greek and Roman maps. London 1985, S. 178. back

(15) Günter Hamann: Der Behaim-Globus als Vorbild der Stabius-Dürer-Karte von 1515. In: Der Globusfreund 25-27, 1978, S. 135-147. back

(16) Erwin Rosenthal: The German Ptolemy and its World Map. New York 1944. - Rodney Shirley: The Mapping of the World. London 1983, S. XII und S. 14; Nr. 16. - Das einzige bekannte Exemplar wird in der New York Public Library aufbewahrt. back

(17) Lothar Zögner (Hrsg.): Von Ptolemäus bis Humboldt (Kartenschätze der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ausstellungskatalog, Nr. 24). Berlin 1984, S. 119; Taf. 1. back

(18) Franz Wawrik: The Johannes Schöner Collection of Cartographical Works in the Austrian National Library. In: Imago et Mensura Mundi. Atti del IX Congresso Internazionale di Storia della Cartogrophia. Roma 1985, S. 297-301. back

(19) Numa Broc: Terra Incognita. In: Cartes et figures de la terre (Ausstellungskatalog). Paris 1980, S. 135-149, bes. S. 139. back

(20) Gaius Julius Solinus: Collectanea rerum memorabilium. - Das Werk des im 3. Jahrhundert lebenden römischen Autors enthielt Auszüge aus naturwissenschaftlichen und geographischen Schriften verschiedener Verfasser. Es war im Mittelalter weit verbreitet und wurde 1473 in Mailand erstmals gedruckt. In umgearbeiteter Form erschien es unter dem Titel "Polyhistor" 1500 in Bonn. back

(21) Erschienen in Augsburg 1508. - Beschrieben wird vermutlich die Reise von Nono und Cristoffel de Haro aus Portugal, die in Südbrasilien bei ungefähr 40° Süd eine Durchfahrt in den (noch unbekannten) Pazifik entdeckt haben wollten. back

Abbildungsnachweis

Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung: 1; Kartensammlung (K II 98.554): 3; J.G. Kohl: Eine Weltkarte mit der Jahreszahl 1489. In: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde N.F. 1, 1856, S. 444-454, Beilage Taf. 7 (Reproduktion): 2.

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